Von Anna Durst
Zu Gast auf dem Sofa der Hochschulbibliothek war der Journalist Hans Leyendecker (rechts) - hier im Gespräch mit Moderator Florian Ditges.<br>Foto: Ralf Johnen
Es ist schon 17.38 Uhr, und ich brauche dringend Informationen über den Journalisten Hans Leyendecker. Jetzt bin ich aufgeregt – weiß ich doch kaum etwas über ihn. Der CDU-Spendenskandal und die Flick-Affäre sind gerade das einzige, was mir zu ihm einfallen will. Die Vorbereitungszeit fällt letztlich kurz aus: In „Die Alphajournalisten“ wurde er porträtiert, und ich lerne, dass er bereits neun Bücher geschrieben hat. Das ist eine Menge. Und fast alle handeln von Korruption, Lügen, Skandalen. Auch sein neues Buch „Die Große Gier – Korruption, Kartelle, Lustreisen: Warum unsere Wirtschaft eine neue Moral braucht“.
Peinliche Panne
Nun ist es 19.07 Uhr, als ich zur Kasse vor Hörsaal 1 der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg gehe und sage: „Ich komme vom doppelpu...“ Bibliotheksmitarbeiterin Nelly Stiebritz unterbricht mich: „Ah, Sie müssen Frau Durst sein.“ Richtig erkannt. Ich nehme meine Eintrittskarte entgegen. Sie sagt noch, ich solle mich Hans Leyendecker vorstellen. Und prompt erwische ich die falsche Hand. In der Aufregung falsch geschaut – typisch. Peinlich!
Zu der zweiten, richtigen, Hand gehört ein Mann: investigativer Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, geschätzte 165 cm groß und 60 Jahre alt, bordeauxrote Krawatte um den Hals. Gut, die Farbe merke ich mir – die Peinlichkeiten sind jetzt auch abgehakt. Hoffentlich.
Publikumsmagnet
„Was studieren Sie?“, fragte Hans Leyendecker mich spontan, und ich erkläre kurz mein Studienfach Technikjournalismus, was Technik in diesem Wort bedeutet und erzähle auch noch, dass ich in der Pressestelle der Hochschule arbeite. Ob es dort überhaupt etwas zu erzählen gebe, fragte er gleich hinterher. Ich scherze und sage: „Sie sind ja jetzt da – endlich ein Grund, viel zu schreiben.“
Dann betrete ich in den Hörsaal, mittlerweile schon gut besucht, und suche mir einen Platz. Die Nachfrage für die Lesung ist so groß, dass das Publikum in den Räumen der Hochschulbibliothek keinen Platz gehabt hätte. So ist man in den Hörsaal ausgewichen. Nachher wird mir Nelly Stiebritz übrigens noch erzählen, dass 153 zahlende Gäste gekommen waren.
Harmlose Erscheinung, aber. . .
Florian Ditges, Dozent an der Hochschule, eröffnet um 19.33 Uhr den Abend aus der Reihe „Zu Gast auf dem Sofa“ der Hochschul- und Kreisbibliothek Bonn-Rhein-Sieg und stellt ein Zitat aus dem neuen Buch Leyendeckers an den Anfang: „Die Moral war noch nie so öffentlich...“ Nach dem zweiminütigen Zitat beschreibt er Leyendecker: „Nahezu harmlos – großväterlich – manchmal lächelt er sogar. Aber er ist gefährlich, also Obacht!“
Leyendecker ist amüsiert, das Publikum ebenfalls. „Wir halten das hier wie auf einer Auktion: Zucken gleich Wortmeldung.“ Das Publikum bemüht sich, nicht zu zucken, sondern hören gespannt zu, was Leyendecker in den nächsten zehn Minuten vorliest.
Moral ist persönlich
Es folgen viele Fragen, allen voran die nach der Moral. Wie er auf das Thema gekommen sei. Er habe vor dem Buch nicht gewusst, sagt Leyendecker, dass es Lustreisen gebe und viel Geld fließe, um in die besten Bordelle zu kommen. Er definiere Moral folgendermaßen: Das, was man sagt, solle auch das sein, was man tut. Aber Vorbild solle man nur für seine „eigenen Gören“ sein, ergänzt Leyendecker.
Apropos moralisch sein: Ob Leyendecker schon mal für Informationen bezahlt habe. Auch da ist der bekannte Recherche-Journalist prinzipientreu und verneint.
Charmant weicht Leyendecker der Frage aus, ob er bei der Süddeutschen Zeitung nach Tarif bezahlt werde: „Es gibt zwar keine Kopfgeldprämie, aber ein frei ausgehandeltes Gehalt schon. Punkt.“
Ein toller Beruf
Nach viel journalistischem Input zum Buch, Leyendecker privat und Fragen aus dem Publikum lädt die Bibliothek nach Ende der Veranstaltung gegen 21.15 Uhr noch zu einem kleinen Umtrunk in ihre Räume. Dort angekommen suche ich zwei Dinge: mein Notizbuch und die bordeauxrote Krawatte – Hans Leyendecker also. Aufgeregt bin ich nicht mehr und warte noch geduldig ab, bis er alle Signierwünsche seiner Fans erfüllt hat.
Endlich zücke ich mein Notizbuch und frage ihn, ob er noch mal Journalist werden würde. Ich bekomme die erhoffte Antwort: „Ja, ich würde jederzeit wieder Journalist werden. Es ist ein toller Beruf!“
Ein guter Abgang
Eine Stelle bei der Süddeutschen Zeitung könne er mir nicht verschaffen, da sie gerade 20 Prozent der Stellen abbauen, aber er macht mir trotzdem Mut: „Lassen Sie sich nicht von den Alten niedermachen. Gehen Sie Ihren Weg, verfolgen Sie Ihren Idealismus und erhalten Sie sich diesen.“ Natürlich meinte er mit den „Alten“ die „alten Hasen der Branche“. Hans Leyendecker wünscht mir für die Zukunft viel Erfolg – ich bedanke mich und schüttle eine Hand. Diesmal war es auch die Richtige.
Artikel vom 06.02.2009
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