Vom Glücklichsein an der Leistungsgrenze. Auspowern abseits des Hörsaals
von Eva Tritschler
Erstes Septemberwochenende in Roth, Nahe Nürnberg. Es herrscht großer Trubel, fast 1500 Sportler tummeln sich. Unter ihnen ist auch Jens Böcker, Professor für Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er ist ein wenig nervös, denn er geht an diesem herrlichem Spätsommertag zum ersten Mal bei einem Triathlon über die Langdistanz, sprich: Er will ein Ironman werden.

Zugegeben, das Foto ist nicht direkt nach dem Zieleinlauf entstanden. Aber das Glück, es geschafft und sich selbst überwunden zu haben, steht Jens Böcker noch ins Gesicht geschrieben. Foto: privat
Damit liegen 3,8 Kilometer Schwimmen im Main-Donau-Kanal vor ihm, 180 Kilometer auf dem Fahrrad, und er muss die Marathonstrecke (42 Kilometer) absolvieren. Das ist respekteinflößend. Der besondere Reiz bei diesem „traditionsreichsten Triathlon“ in Deutschland liegt darin, dass Weltelite und Agegrouper – das sind in diesem Fall nichts anderes als die Amateure – gemeinsam antreten, insgesamt 1450 Athleten.
Mit lautem Kanonendonner wurde jede Startgruppe auf die Strecke geschickt, zuerst ins gut 19 Grad warme Wasser. Das lässt sich auf morgens um 8 Uhr gut aushalten. Allerdings sind Schwimmen und das Radfahren, das nun folgte, nicht unbedingt Böckers Lieblingsdisziplinen. Aber auch auf dem Rennrad lief es gut bei wenig Wind. 1200 Höhenmeter auf den zwei 90-Kilometer-Runden sind allerdings auch kein Zuckerschlecken. Das Auf und Ab ließ eine schöne Landschaft vermuten, dafür hatte nur keiner der Sportler einen Blick übrig.
Zwei Jahre Vorbereitung liegen hinter Jens Böcker: mit Trainer, striktem Trainingsplan und mehr Trainingseinheiten wöchentlich, als die Woche Tage hat. Bis zu 12 Stunden Schinderei pro Woche waren das zusätzlich zu seinem Hauptberuf mit Forschung und Lehre. Ausdauersport war schon vorher die Leidenschaft von Böcker, hat einige Wettkämpfe gemeinsam mit Studierenden bestritten, darunter 300-Kilometer-Radrennen, Marathon-Läufe oder 50-Kilometer-Langlauf. Aber eben noch nie drei solche Hammer-Disziplinen direkt in Reihe. Deshalb war auch die zweijährige Vorbereitung so wichtig.
„Highway to Hell“
Dann endlich der Wechsel auf die Lieblingsdisziplin, das Laufen - das sich ein wenig als „Highway to Hell“ erwies. Die Zuschauer am Rand hatten genau die Verfassung von Jens Böcker getroffen. Bei Kilometer 20, also etwas auf der Hälfte, kroch der innere Schweinehund aus seiner Hütte. Was tun? Knoblauch soll gegen Vampire helfen, Böcker hielt dem Schweinehund dauerhaft das Bild der angepeilten Medaille vor die Nase, die es für Finisher gab, dazu tauchten seine Frau und ein Freund immer wieder an der Strecke auf. „Das und auch die verdammte Medaille half“, sagte Jens Böcker später nach einem unvergesslichen Zieleinlauf: Schon von weitem klang die Musik, die Zuschauer jubeln, die letzten 200 Meter werden auf Teppich gelaufen. Böcker: „Gänsehaut-Feeling! Ein unglaubliches Gefühl, es endlich geschafft zu haben.“ Die Uhr zeigte inzwischen 21.03 Uhr und 21 Sekunden.

Ob er es wieder tun würde? „Beim Laufen hatte ich mir mehrfach geschworen, das nie wieder zu machen. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Der Termin für den Wettkampf 2022 steht aber schon im Kalender.“ Vielleicht trifft er dann auch wieder eine seiner ehemaligen Studentinnen, die ihm auf dem Wettkampfgelände zufällig begegnete. Julia Lange ist nämlich mit Profi Patrick Lange verheiratet, der in Roth mit 7:19:19 Stunden einen neuen Streckenrekord aufstellte.
Weiterführende Links:Challenge Roth auf WikipediaPersonenseite Professor Jens Böcker
Artikel vom 21.12.2021
Drucken
Leserbrief
Weitere Artikel