"Ein weit verbreiteter Irrglaube"
Das Interview führte Michael Herkenhöhner
Wem gehört eigentlich eine Diplomarbeit? Die Ansichten gehen zwischen Diplomanden und Professoren hin und wieder auseinander. doppelpunkt: wollte es genau wissen und fragte den Wirtschaftsjuristen Professor Klaus W. Slapnicar.

Jurist Slapnicar: Nur der Verfasser selbst kann die Ergebnisse seiner Ausarbeitung vermarkten und zu Geld machen. Foto: Privat
doppelpunkt: Der Fall: Ein Student schreibt ohne Einbeziehung eines Unternehmens seine Diplomarbeit. Wem gehört sie? Der Hochschule? Dem Studenten? Oder beiden?
Prof. Klaus W. Slapnicar: Die Rechtslage ist klar: Die Diplomarbeit als urheberrechtliches Schriftwerk gehört nur dem Diplomanden. Die Kenntnis darüber ist sehr gering. Auch Hochschulverwaltungen wissen das häufig nicht. Sie erkennen den hohen Werbewert von Diplomarbeiten, insbesondere im technischen Bereich, und präsentieren sich beispielsweise damit auf Messen. Aber ohne Genehmigung des Diplomanden dürfen sie das nicht; selbst wenn Hochschulen erhebliche Investitionen leisten, zum Beispiel Apparaturen zur Verfügung stellen oder Forschungsgelder bewilligen. Die Hochschulen sind nicht Miteigentümer an Diplomarbeiten: Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube.
doppelpunkt: Aber wenigstens ein gebundenes Exemplar muss doch an die Hochschule gehen?
Slapnicar: Es muss aufgrund der Prüfungsordnung wenigstens ein Exemplar an die Hochschule gehen. Das ist richtig. Dies darf aber nicht zu falschen Schlussfolgerungen führen. Eine Übertragung des Urheberrechts findet nicht statt. Die Einreichung der Arbeit ist schließlich nur die Notwendigkeit, sie als Prüfungsleistung zur Kenntnis zu nehmen und bewerten zu können.
doppelpunkt: Wie ist die rechtliche Lage, wenn der Student seine Diplomarbeit bei einem Unternehmen schreibt?
Slapnicar: Sollte ein Student mit einem Unternehmen zusammenarbeiten, kommt es auf die schriftliche Vereinbarung zwischen Urheber und beauftragendem Unternehmen an. Dieser Vertrag sollte Honorierung, Verwertung und Lizenzierung beinhalten. Empfehlenswert ist dabei die Einbeziehung des betreuenden Professors in das Vertragswerk, so dass dieser auch Vertragspartei wird und an die Vereinbarungen mit dem Unternehmen ebenso wie der Diplomand gebunden ist. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass der Verfasser durch den Professor zielgerichteter unterstützt werden kann.
doppelpunkt: Wann beginnt die Veröffentlichung?
Slapnicar: Erst- und Zweitprüfer sind keine Öffentlichkeit. Sie sind durch das Prüfungsverfahren zur Geheimhaltung verpflichtet als Teil der Hochschule. Die gebundenen Ausgaben gehen zwar ins Eigentum der Hochschule über. Es wäre schon ein Verstoß gegen das Urheberrecht, wenn ungefragt die Arbeit des Diplomanden in die Bibliothek gestellt würde. Kopien der Arbeit für den eigenen Gebrauch darf sich der Prüfer natürlich machen, zum Beispiel um sich am Rand Notizen zu machen zu können, ohne das Original zu „verschmieren“. Das hat auch den Vorteil, dass man bei einer gerichtlichen Überprüfung der Arbeit dem Prüfer nicht vorwerfen kann, unsachliche Randbemerkungen gemacht zu haben und der Richter schon aus diesem Grund die Bewertung beanstandet.
doppelpunkt: Darf der Professor die Ergebnisse einer Diplomarbeit seinen Studenten präsentieren?
Slapnicar: Die Ergebnisse einer Diplomarbeit sind aufgrund der durch Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit für jedermann frei zugänglich. Ohne dies würde Wissenschaft nicht funktionieren. Schließlich baut sie auf einem kontinuierlichen Erkenntnisprozess auf. Dass der Professor die Ergebnisse der von ihm betreuten Diplomarbeiten nutzt und daraus neue wissenschaftliche Erkenntnisse in einem Aufsatz gewinnt, ist also möglich: Dies bedeutet konkret, dass der Professor zwar aus der von ihm betreuten und bewerteten Arbeit zitieren darf, aber wissenschaftlicher Ehrlichkeit halber auch auf den Autor hinweisen muss, um den Anforderungen des Zitiergebots und wissenschaftlicher Ehrlichkeit zu genügen.
doppelpunkt: Bedeutet das auch, dass der Professor eine Diplomarbeit kommerziell nutzen kann?
Slapnicar: Keinesfalls ist der Professor dazu berechtigt. Die kommerzielle Nutzung geht über die Freiheit von Forschung und Wissenschaft hinaus und verletzt das dem Diplomanden allein zustehende Urheberrecht. Nur der Verfasser selbst kann die Ergebnisse seiner Ausarbeitung vermarkten und „zu Geld machen“.
doppelpunkt: Wie ist die Mitwirkung des betreuenden Professors rechtlich zu beurteilen?
Slapnicar: Die Diplomanden haben einen Anspruch auf ordnungsgemäße Betreuung der Diplomarbeit. Aber: Durch eine Intensivstberatung kann der Professor zum Miturheber werden. Dann hat er zwar ein Mitbestimmungsrecht an Verbreitung und Verwertung der Diplomarbeit. Aber so etwas würde natürlich die Prüfungsleistung zur Fünf machen und wäre ein prüfungsrechtliches Desaster.
doppelpunkt: Bei Diplomarbeiten aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften und aus der Informatik geht es oft nicht um das „Werk“ Diplomarbeit selbst, sondern um Produkte, die in der Arbeit enthalten sind oder zumindest aus der Arbeit abgeleitet werden können. Wie kann sich der Diplomand vor dem Diebstahl seiner Erkenntnisse schützen?
Slapnicar: Der Inhalt einer Diplomarbeit gehört grundsätzlich niemandem. Ist Ergebnis der Arbeit ein technisches Produkt, liegt der Fall jedoch anders: So zum Beispiel, wenn der Student ein neues Hydrierverfahren zur besseren Ölverwertung entwickelt hat. Dann ist dieses Ergebnis zunächst einmal der Wissenschaft frei zugänglich, aber die wirtschaftliche Anwendung ist nur dann geschützt und kommerziell zu verwerten, wenn man die Verfahren zum Schutz geistigen Eigentums kennt und nutzt. Es muss als Patent angemeldet werden. Wenn das nicht gemacht wird, kann ein anderer an Stelle des Diplomanden das Patent für sich beanspruchen. Ich kann nur jedem Studenten raten, sich hierüber schon im Vorfeld Gedanken zu machen. Sonst besteht die Gefahr, dass fremde Personen aus dem Gedankengut des Verfassers die Früchte ernten.
Klaus W. Slapnicar lehrt an der FH Schmalkalden Wirtschaftsprivatrecht. Seit seiner Berufung im Jahre 1980 betreute er mehr als 140 Diplomarbeiten. Er ist Mitautor des Buches "Die Diplomarbeit" (Stuttgart, 2003).
Artikel vom 23.06.2003
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