Von Miriam Birkel
Werkstatt beim Agro Technical and Technology College im Fachbereich Automobiltechnik: Das ATTC wurde von der Stiftung „Menschen für Menschen“ gegründet und ist eine Erfolgsgeschichte. Die Absolventen haben sehr gute Aussichten auf einen Job Foto: Manfred Bretz
Äthiopien – fremdes Land: rund 80 verschiedene Kulturen mit eigenen Tänzen, Traditionen und Sprachen existieren auf einer Fläche, die dreimal so groß ist wie Deutschland. Knapp die Hälfte der 88 Millionen Äthiopier ist unter 15 Jahre alt. 60 Prozent der Menschen sind Analphabeten, etwa 40 Prozent leben unter der absoluten Armutsgrenze. Durch die Entwicklungshilfe konnten die Lebensumstände vieler Menschen jedoch schon sehr verbessert werden. Das Wirtschaftswachstum beträgt inzwischen zehn Prozent.
Die Stiftung „Menschen für Menschen – Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe“ ist seit 30 Jahren in dem ostafrikanischen Land auf den Gebieten Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung aktiv und an dem Aufschwung des Landes beteiligt. Eine Schlüsseleinrichtung ist das 1992 von der Stiftung errichtete Agro Technical and Technology College (ATTC), ein Schulungszentrum, an dem Äthiopier aus ärmsten Verhältnissen in technischen und agrarwissenschaftlichen Berufen ausgebildet werden. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und die Stiftung „Menschen für Menschen“ unterzeichneten am 1. Juli 2010 ein Memorandum of Understanding (MOU), dem Kooperationsprojekte zwischen der Hochschule in Deutschland und dem ATTC in Äthiopien folgen sollen. Den angedachten Summer Schools soll eine genaue Recherche vorausgehen.
Genau vier Monate nach Unterzeichnung des MOU lande ich deshalb in Äthiopien mit der Aufgabe, möglichst viele Interviews mit Studierenden, Lehrkräften und Absolventen des ATTC zu führen und die Ergebnisse zu dokumentieren. In der Hauptstadt Addis Abeba sind Bewegung und Umbruch zu spüren. Überall werden Häuser gebaut, die Hauptstraßen sind stark befahren, moderne Gebäude reihen sich neben kleinere Häuser. Menschen in Anzügen gibt es genauso zu sehen, wie Menschen in Lumpen. Abgase, Hupen, Reifenquietschen – alles typische Merkmale einer lebendigen Großstadt.
In der im Osten des Landes gelegenen Stadt Harar sieht es ganz anders aus: Eine Straße vom lokalen Flughafen führt durch das recht trockene Hochland, vorbei an Lehmhäusern, barfüßigen Jungen mit Ziegenherden und Eseln, sowie in bunte Gewänder gekleideten Frauen mit Kanistern auf dem Rücken.
Das Agro Technical and Technology College (ATTC)
Das ATTC liegt auf einem begrünten und gepflegten Campus knapp 1.900 Meter über dem Meeresspiegel. Hier lernen und leben die Studierenden, hier lehren und leben auch viele Dozenten. Von Montag bis Freitag findet ganztägig Unterricht statt. Ausgebildet werden junge Frauen und Männer in den Fachbereichen Agrarökologie sowie Elektrik und Elektrotechnik, Automobil- und Fertigungstechnik. Rund 2.000 Absolventen hat das ATTC bislang hervorgebracht.
Den Anfang machte ein Fortbildungsprogramm für Bauern. Heute bietet das ATTC fünf staatlich anerkannte Studiengänge mit dem Abschluss Bachelor of Science an, die Agrarökologie ist nochmals unterteilt.
In den drei technischen Fachbereichen erlernen die Studierenden an modernen Werkbänken das millimetergenaue Feilen, Schleifen, Löten, Hobeln, Schneiden und Fräsen. Praxis und Theorie sind eng miteinander verzahnt: Auf die Vorlesungen folgen meist unmittelbar praktische Kurse. Nach jeder Unterrichtseinheit säubern die jungen Äthiopier ihren Arbeitsplatz, schließen ihr Werkzeug ordnungsgemäß weg und beachten stets die Sicherheitsanweisungen. Diese typisch deutschen Einflüsse heben die ATTC-Absolventen von Absolventen anderer äthiopischer Universitäten ab.
Paulos Schewatatek hat am ATTC gelernt und ist nun, wie viele andere Absolventen mit sehr gutem Abschluss, selber Lehrkraft hier. „Das ATTC bietet den Studenten sehr gute Aussichten auf einen sicheren Job. Für mich ist es der beste Arbeitsplatz überhaupt. Alle, die hier arbeiten und lernen, sind sehr motiviert und glauben daran, etwas Sinnvolles für unser Land tun zu können“, beschreibt er seine Einstellung. Die Studenten des ATTC, zu denen immer mehr Frauen gehören, sind wissbegierig, aufmerksam und haben ein gemeinsames Ziel vor Augen: den Fortschritt in ihrem Land mitzugestalten.
Artikel vom 19.01.2012
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