Mehr als ein Ferienjob: Als Dolmetscherin viel gelernt
von Tong Qiwei
Tong Qiwei studiert im „2+2“-Programm Business Administration. Einen ganz besonderen Job hatte die chinesische Studentin in den Semesterferien: Als Dolmetscherin für eine deutsche Consulting-Firma begleitete sie eine chinesische Delegation unter anderem zur Internationalen Automobil-Ausstellung und berichtet für den doppelpunkt:

Die Messehallen bei der Internationalen Automobilausstellung: ein großer Parkplatz. Foto: Tong Qiwei
In den Ferien habe ich als Dolmetscherin für eine deutsche Consulting-Firma gearbeitet, um eine chinesische Delegation zu begleiten. Die deutsche Firma besteht aus drei Personen, alles erfahrene Ingenieure, die für renommierte Automobilzulieferer gearbeitet haben. Ihre eigene Consulting-Firma haben sie erst vor kurzem gegründet. Der Auftraggeber aus China ist ein mittelständischer Automobilzulieferer. Obwohl er schon einen guten Marktanteil in China besitzt, möchte der Familienbetrieb seine Produktqualität optimieren und sah sich deshalb in Deutschland um.
Gute Arbeitsbedingungen – bessere ProduktionAls Dolmetscherin hatte ich die Chance, Einblick in viele große und mittelständische deutsche Automobilunternehmen zu gewinnen. Das erste Unternehmen, das wir besichtigt haben, war die MAN Nutzfahrzeug AG in München. Lean Production kennzeichnet den ganzen Produktionsprozess, der bis ins letzte Detail geht: Die Regale sind leicht geneigt, sodass die Mitarbeiter schneller und leichter an die benötigten Teile kommen. Die Arbeitsbedingungen scheinen sehr angenehm. Aus Gesundheitsgründen werden die Chassis verkehrt herum auf das Fließband gelegt, sodass die Arbeiter keine Überkopfarbeit leisten müssen. Darüber hinaus sind die Lärmkontrolle, die gute Beleuchtung in der Produktionshalle und die Raucherecke für die Arbeiter Beispiele für gute Arbeitsbedingungen.
Ein Paradies nicht nur für Logistik-InteressierteEinige Tage später haben wir den VW-Hauptsitz in Wolfsburg besichtigt. Das Werk ist riesig. Deshalb waren wir froh, dass wir von einem Zuggefährt aus das Werk besichtigen durften. Durch die Werksführung haben wir einen umfassenden Einblick in die Produktion erhalten und dabei erfahren, dass für jedes Auto auf der Fertigungslinie schon ein Auftrag vorliegt. Kunden benutzen den Online-Konfigurator, um ihre Nachfrage zu spezifizieren und einen Auftrag zu erteilen. Die Spezifikationen werden auf RFID-Chip gespeichert, benötigte Materialien werden dann durch das sogenannte Just-in-Sequence-Prinzip (rechtzeitig, nach einer bestimmten Reihenfolge) bereitgestellt und in hoch automatisierten Produktionsabläufen weiterverarbeitet. Der ganze Prozess ist aus meiner Sicht das Leitbild für kundenindividuelle Massenproduktion, eine Kombination von Massenfertigung und kundenindividueller Anpassung.
Im MAN Kundencenter ist es ganz schön aufgeräumt. Foto: Tong QiweiNicht nur die Marktführer wie VW und MAN, sondern auch die mittelständischen Unternehmen haben ihre Stärken. Zum Beispiel der Automobilzulieferer Knorr-Bremse hat meiner Meinung nach das beste Shopfloor-Management, mit dem die Kennzahlen visualisiert und Abweichungen rechtzeitig erkannt und vor Ort beseitigt werden können.
Als BWL-Studentin mit dem Schwerpunkt Logistik und Supply Chain Management bin ich sehr beeindruckt von der effektiven Realisierung der Logistikkonzepte, die ich in der Vorlesung kennengelernt habe, und dem hohen Automatisierungsgrad auf dem Werksgelände. Außerdem ist die starke unternehmerische Verantwortung, die die Unternehmen zu übernehmen bereit sind, für mich beeindruckend.
Unverhoffte Einblicke: der Vergleich der KulturenFrüher habe ich schon gehört, dass Unterschiede zwischen der deutschen und chinesischen Arbeitskultur und Mentalität bestehen. Deshalb bin ich froh, dass ich die Chance hatte, die Unterschiede aus erster Hand zu erleben und zu vergleichen. Die deutsche Consulting-Firma hat sich auf den Besuch sehr gut vorbereitet. Monate vor dem Besuch haben ein früherer Kommilitone aus dem „2+2“-Programm und ich das Glossar für technische Begriffe auf Deutsch, Englisch und Chinesisch bekommen. Später sind wir mit einem der Ingenieure nach Frankfurt gefahren, um eine Messe für Automobilzulieferteile zu besuchen. Er hat die wichtigsten Produkte mit uns gesucht und ausführlich erklärt, sodass wir uns mit den Fachbegriffen vertraut machen konnten. Außerdem gab es einen detaillierten Zeitplan, auf deutscher Seite herrschte große Professionalität und Pünktlichkeit.
Im Vergleich dazu war die Arbeitsatmosphäre bei der chinesischen Delegation relativ entspannt, weil die meisten von ihnen junge Ingenieure waren. Während der Werksbesichtigungen waren sie immer sehr aufmerksam. Sie stellten viele Fragen und machten fleißig Notizen. Nach der Besichtigung machte jeder von ihnen Verbesserungsvorschläge für die eigene Produktion zuhause. Ich konnte sehen, dass sie sehr engagiert waren, um das Ziel einer besseren Produktqualität und Konkurrenzfähigkeit zu erreichen.
„Made in China” soll Qualitätsmerkmal werdenZurzeit liegt der einzige Grund, aus dem viele deutsche Automobilunternehmen mit den chinesischen Zulieferern kooperieren möchten, darin, dass der Preis gering ist. In der Vorlesung hatte ich bereits erfahren, dass die Risiken aufgrund mangelhafter Produktqualität eine Hürde bei der Zusammenarbeit sind. Wenn mehr chinesische Unternehmen eine ähnliche Einstellung gegenüber ihren Produkten wie die deutschen Unternehmen hätten, könnte „Made in China” in naher Zukunft nicht nur billig, sondern auch konkurrenzfähig bedeuten.
Es gibt manchmal aufgrund der unterschiedlichen Mentalitäten und Gewohnheiten Konflikte und Missverständnisse zwischen Chinesen und Deutschen. Als chinesische Studierende in Deutschland haben mein Kollege und ich Einblick in beide Kulturen. Deshalb haben wir die Verantwortung für Koordination und Kommunikation übernommen, um den reibungslosen Ablauf des Besuchs zu sichern. Wegen der Globalisierung und der zunehmenden Anzahl internationaler Kooperationen gewinnen interkulturelle Kompetenzen immer mehr an Bedeutung.
Alles in allem habe ich sehr wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ich würde sie für nichts eintauschen.
Artikel vom 24.03.2017
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