Die Konkurrenz ist größer geworden
Von Eva Tritschler
Fast 160 Absolventinnen und Absolventen in sieben Studiengängen zählte die Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg im Studienjahr 2001/2002. Doch nach dem Kolloquium wartet auf die frisch gebackenen Diplomanden vor dem Eintritt ins Berufsleben eine ganz andere Art der Prüfung: die der Bewerbungsunterlagen durch kritische Personalchefs, die neben dieser einen viele weitere Bewerbungen durchsehen müssen.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Unternehmen händeringend nach qualifiziertem Nachwuchs suchten. Inzwischen haben sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt: Waren im Jahr 2000 beispielsweise in der IT-Branche bundesweit rund 9000 offene Stellen bei gut 5700 Bewerbern gemeldet – in den Jahren davor hielten sich Angebot und Nachfrage in etwa die Waage –, gab es 2001 schon mehr als doppelt so viele Bewerber wie Stellen. 2002 kamen auf eine Stelle sieben Bewerber. Das klingt nicht besonders schlimm, bedeutet aber auf jeden Fall eine größere Konkurrenz, aus der die Personalchefs sich die Rosinen herauspicken können. Und die Erfahrungen unserer eigenen Absolventinnen und Absolventen?
Die Bandbreite reicht von Selbstständigkeit über eine Vertragsunterzeichnung schon in der Diplomarbeitsphase bis zur zigsten erfolglosen Bewerbung innerhalb eines halben Jahres, wobei sich diese Erfahrungen nicht an bestimmten Studiengängen festmachen lassen. Immerhin lässt sich eine Tendenz erkennen: Bereits während des Studiums den Kontakt zu einem Unternehmen herzustellen, bedeutet sehr gute Voraussetzungen im Falle einer Bewerbung bei eben dieser Firma.
Auf fast 80 Bewerbungen hatte ein Student gerade mal zwei Einladungen zu einem Vorstellungsgespräch erhalten. "An meiner Bewerbungsmappe kann es nicht gelegen haben", erzählt er, "denn ich habe sie aufgrund der schlechten Resonanz mehrfach von Experten prüfen lassen." Allerdings kristallisierte sich in diesem Fall auf Nachfrage heraus, dass die Gehaltsforderung den Unternehmen schlicht zu hoch war. Der Absolvent formuliert diesen Punkt naturgemäß aus seiner Perspektive: "…im Preis erniedrigend", vor allem bei einer Note mit einer Eins vor dem Komma. Ganz klar, die Konjunkturflaute drückt auf die Einkommen. Nicht nur in der IT-Branche haben sich die Einstiegsgehälter für Berufsanfänger wieder auf einem "normalen" Niveau eingependelt. Der billigste Einkauf muss eben nicht der schlechteste sein, sagen sich Personalchefs angesichts knapper Kassen und besetzen nur die notwendigsten Stellen.
Aber es gibt eben auch positive Rückmeldungen: Bei deutlich mehr als der Hälfte der Absolventinnen und Absolventen, die auf die Befragung geantwortet haben, resultierte die erste Stelle aus dem Praxissemester, der Diplomarbeit oder dem regelmäßigen Job während des Studiums. Da hieß es dann – wie auch in einigen wenigen anderen beneidenswerten Fällen – "Eine Bewerbung = eine Stelle", und das praktisch nahtlos anschließend ans Kolloquium. Doch auch das Resümee eines anderen Absolventen kann sich sehen lassen: Er erhielt bei 18 verschickten Bewerbungen drei schriftliche Zusagen für eine Anstellung.
Markus Grischek, zum Zeitpunkt der Umfrage schon ein paar Monate lang berufstätiger Diplom-Kaufmann: "Ich hatte bereits vor dem Abschluss durch Praktika und Praxissemester Kontakt zu meinem jetzigen Unternehmen." Der Vertragsunterzeichnung seien nur ein kurzes Telefonat und ein formloses Gespräch vorausgegangen. Angesichts der Konjunkturflaute, die nicht zuletzt an den stark geschrumpften Stellenteilen der einschlägigen Presse abzulesen sei, empfiehlt Grischek: "Die allgemeine wirtschaftliche Lage wird sich meines Erachtens sehr negativ vor allem bei Hochschulabsolventen ohne einen lange gepflegten, vorherigen Kontakt zu Unternehmen bemerkbar machen. Heute hätte ich es auch nicht so leicht, da mein Unternehmen im vergangenen Monat noch fünf Prozent der Mitarbeiter entlassen hat."
Dass es auch ohne vorherige Beziehung gehen kann, belegt ein anderes Beispiel eindrucksvoll: 17 Bewerbungen, 13 Absagen ohne, eine Absage und zwei Zusagen nach dem Bewerbungsgespräch. Eine weitere Zusage erhielt der Bewerber schriftlich ohne persönliches Gespräch. Seine Quelle für Firmenadressen war ausschließlich das Internet. Er wurde fündig bei
www.arbeitsamt.de,
berufsstart.de sowie bei StepStone und JobPilot.
Eine unangenehme Erfahrung ganz anderer Art haben einige Absolventen aber auch zu spüren bekommen: Unternehmen melden sich einfach nicht. Beispiel gefällig? Im April 2001 drei Bewerbungsmappen verschickt. Eine Absage bekommen und eine Einladung zum Bewerbungsgespräch im Juli mit anschließender Zusage. Arbeitsbeginn im Oktober nach dem Kolloquium im September. Im April 2002 kam dann endlich auch die Antwort auf die dritte Bewerbung. Zu- oder Absage? Nicht mehr wichtig. Und keine Empfehlung für das Unternehmen.
Artikel vom 23.06.2003
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