Von Max Jonas Werner
Der Nutzen und die Qualität dessen, was man im Hörsaal vielleicht als überflüssig empfungen hat, erschließt sich erst später. Foto: Fabian Ewenz
Sechs Tage später begann um neun Uhr mein erster Arbeitstag als IT-Consultant. Meine neuen Chefs erwarteten einen Bachelor of Science mit entsprechenden Fähigkeiten. Aber was heißt das eigentlich? Was kann ich aus den drei Jahren meines Studiums überhaupt mitbringen und meinen Arbeitgebern bieten? Die vergangenen zwei Jahre haben mir gezeigt: Es ist mehr als man denkt – und das liegt nicht zuletzt an der praktischen Ausbildung, die ich an der Hochschule erhalten habe.
Gelernt, Probleme zu lösen
Ich zehre heute noch von dem Wissen, das ich mir in Kursen wie Algorithmen & Datenstrukturen, Theoretische Informatik oder Recht angeeignet habe. Es ist nicht so sehr das harte Wissen über bestimmte thematische Inhalte aus dem Studium, sondern viel mehr die Möglichkeit, unterschiedlichste Probleme, die mir im Beruf begegnen, einordnen und bewerten zu können. Nichtsdestotrotz schaue ich ab und zu doch noch einmal in die Unterlagen einiger Vorlesungen (vielen Dank an diejenigen ProfessorInnen, die ihre Unterlagen so gestaltet haben, dass sie auch nach ein paar Jahren Abstinenz noch Sinn ergeben).
Hochwertiger Bachelor-Abschluss
Könnte jemand, der nicht studiert hat, meinen Job übernehmen? Definitiv, dafür gibt es in der Wirtschaft genug Beispiele. Ist das Studium deswegen weniger wert? Das kommt drauf an. Ich bin froh, dass ich mir diese drei Jahre die Zeit genommen habe, mich ganz auf die Informatik zu konzentrieren, die letzten sechs Monate – die verdammt hart waren – ein ganz spezielles Problem der Informatik in meiner Thesis zu behandeln. Das war eine Zeit, in der ich extrem viel gelernt habe.
Das Attribut „erster berufsqualifizierender Abschluss“ ist meines Erachtens deutlich untertrieben, denn gerade in der IT-Branche ist der Bachelor (und nicht der Master) der Abschluss, den ich benötige, um die Probleme, die mir dort begegnen, meistern zu können. Ein Master würde mir kaum Qualifikationen verleihen, die ich sonst nicht hätte, um beispielsweise Führungsfunktionen zu übernehmen. Glücklicherweise haben viele Unternehmen das bereits erkannt und behandeln Diplom und Bachelor gleichwertig – zumindest bei Berufsanfängern. Dass allerdings viele große Unternehmen mit ihren Traineeships oder Führungslaufbahnmodellen immer noch nur auf Master/Diplom abzielen, zeigt, dass der formelle Abschluss unter Umständen mehr zählt, als die eigene persönliche Qualifikation oder Berufserfahrung.
Erfahrung zählt
Ich selbst habe mich vor einiger Zeit entschieden, den (sicheren) Job als Consultant an den Nagel zu hängen und das Wagnis einzugehen, mich einem Startup in Hamburg anzuschließen. Und gerade hier gilt, dass Erfahrung mehr zählt als die formelle Ausbildung. Daher möchte ich jedem Informatik-Studenten ans Herz legen, sich zumindest Gedanken darüber zu machen, nach dem Bachelor-Abschluss einige Jahre Berufserfahrung zu sammeln und sich dann zu überlegen, ob er einen Master – möglicherweise auch in einem anderen Fach – draufsatteln möchte. Es gibt zwar nur sehr wenige Hochschulen in Deutschland, die auch nicht-konsekutive Master-Programme für Informatiker anbieten, aber das wird sich hoffentlich in den nächsten Jahren ändern.
Wir Informatiker haben gerade in der heutigen Zeit eine Fülle an Berufschancen, die sich nicht in der Softwareentwicklung oder IT-Administration erschöpft. Es hört sich nach einer Platitüde an, aber ich glaube fest daran, dass, wer Kreativität, den Willen, sein Leben lang zu lernen und eine Menge Fleiß mitbringt, es am weitesten bringt, egal, ob er sich Bachelor, Master oder Dipl.-Inf. nennt.
Artikel vom 04.02.2011
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