Altersarmut kommt nicht in die Tüte
von Esther Hummel
Mit so viel Bedürftigkeit hätte Chris Kossack, ehemaliger Student der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, kaum gerechnet. Binnen vier Wochen haben sich allein in Hennef fast 60 Senioren beim Verein Obstkäppchen angemeldet. Sie alle werden seit Anfang dieses Jahres regelmäßig mit Lebensmitteltüten versorgt.

Die Vereinsgründer von Obstkäppchen: Christopher Kossack, Carina Raddatz und Johannes Radschinski (von rechts). Foto: Quentin Bröhl
Er ist gerade mal 25 Jahre alt und denkt jetzt schon über Altersarmut nach. Chris Kossack aus Hennef, ehemaliger Student der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und Unternehmensberater, hat Anfang des Jahres 2017 den Verein Obstkäppchen gegründet, um Altersarmut zu mildern. Gemeinsam mit einer Freundin aus Schultagen hat der BWL-Absolvent ein Konzept erarbeitet, um Menschen, denen die Rente zum Leben kaum reicht, unter die Arme zu greifen.
Den Impuls für die Vereinsgründung habe der Anblick einer alten Frau in Köln gegebem, die in öffentlichen Mülltonnen nach Pfandflaschen suchte, um so ihre Rente um ein paar Euro aufzubessern. Obstkäppchen-Mitgründerin Carina Raddatz hat dieses Bild nicht mehr losgelassen und Chris davon erzählt. Die Idee entstand prompt: „Leider gehören solche Bilder ja mittlerweile zum Alltag. Carina konnte mich mit der Idee, einen Verein zu gründen und zu helfen, so begeistern, dass ich sofort dabei war.“
Prognosen: 20 Prozent der älteren Menschen von Armut bedrohtDer Name Obstkäppchen entstand aus dem Märchenbild des Rotkäppchens, das der einsamen, im Wald lebenden Oma Essen bringt. Während die Oma im Märchen vom Wolf verschluckt wird, möchte die Initiative von Kossack und Raddatz Rentner unterstützen, die von der Altersarmut förmlich verschluckt werden.
Laut einer Studie der Wirtschaftsforschungsinstitute DIW und ZEW, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt wurde, wird im Jahr 2036 jeder fünfte 67-Jährige von Armut bedroht sein. Eine erschreckende Prognose. Allein in Köln gelten jetzt schon rund 14.000 Senioren als arm.
Der Absolvent der Hochschule möchte mit dem sozialen Start-up zwei Dinge erreichen: Zum einen sollen bedürftige Senioren ein- bis zweimal im Monat mit gesunden Lebensmitteln versorgt werden. Zum anderen möchten Chris Kossack und Carina Raddatz auch den generationenübergreifenden Dialog fördern. So wird jedes ehrenamtliche „Obstkäppchen“, wie die Helfer liebevoll genannt werden, seine festen Adressen haben, die es mit den gepackten Lebensmitteltüten versorgt. Damit können Beziehungen aufgebaut werden. Carina Raddatz, ehemalige Studentin der Wirtschaftspsychologie und Inhaberin des Masters in International Relations, ist der soziale Kontakt zu den Senioren sehr wichtig: „Irgendwann kommt es vielleicht zu einem gemeinsamen Kaffeetrinken oder auf andere Weise gemeinsam verbrachter Zeit. So können wir nicht nur etwas gegen die Altersarmut sondern auch gegen die Vereinsamung der Menschen tun.“
Unterstützung von amtlicher Seite„Spenden und Helfer zu generieren, wird weniger schwer werden. Wir bekommen jetzt schon so viel positives Feedback, dass wir da zuversichtlich sind,“ sagte Kossack. Aber noch im Dezember 2017 dachte er, die größte Aufgabe sei es, überhaupt Senioren zu finden, denn diese müssen letztendlich aktiv auf das „Obstkäppchen“ zugehen. Raddatz wählte den Weg über die Sozialämter und stieß auf offene Ohren. Die die bedürftigen älteren Menschen wurden angeschrieben und auf die Initiative Obstkäppchen hingewiesen. Ein beigelegter Brief des Vereins und das Anmeldeformular haben bislang schon fast 60 Menschen dazu bewegt, sich beim „Obstkäppchen“ zu melden.
Die beiden Vereinsgründer wollen weiter auf Seniorenheime, Initiativen und auch kirchliche Organisationen zugehen und rechnen schon im Frühjahr mit mehr als 100 Senioren, die sie dann beliefern können. Sie sehen sich bestätigt, dass es notwendig war, den Verein zu gründen, dass Altersarmut keine Floskel ist.
Natürlich, so unterstreicht Kossack, bleiben alle Daten der Betroffenen anonym. „Das ist Grundvoraussetzung für die Arbeit des Vereins und auch der einzelnen ,Obstkäppchen'. Unsere ehrenamtlichen Helfer müssen sich alle verpflichten, weder Daten noch Informationen über die betreuten Senioren herauszugeben.“
Tüteninhalt ist gesund und ausgewogenDie beiden Vereinsgründer haben einen fulminanten Start ihres Projektes hingelegt und brennen förmlich darauf mit ihrem gemeinnützigen Projekt weiter Menschen zu helfen. Nicht nur, weil sie mit insgesamt 500 Euro Startkapital aus der eigenen Tasche den Verein aus der Taufe gehoben haben. Hinter ihnen steht bereits ein großes Team aus weiteren ehrenamtlichen Helfern und Vereinsmitgliedern, für die Altersarmut nicht in die Tüte kommen soll. So stellt unter anderem ein Ernährungsberater den Inhalt der Tüten zu einer gesunde und ausgewogenen Lebensmittelauswahl zusammen. Die Nahrungsmittel selber kommen von Bauern und Supermärkten aus der Region. Auch darauf legt der Verein Wert.
Über das Konzept und die Struktur der Initiative hat sich der Fachmann für Controlling, Finance und B2B-Marketing Chris Kossack sehr viele Gedanken gemacht. Der 25-Jährige ist kurz nach seinem Abschluss zum Bachelor of Science im vergangenen Jahr als Unternehmensberater durchgestartet. Wobei er durch die Selbstständigkeit seiner Eltern schon früh mit der Thematik einer Unternehmensgründung zu tun hatte. All diese Erfahrungen brachte er in den Aufbau des gemeinnützigen und mildtätigen Vereins ein. Mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten er und seine Vereinskollegin Carina Raddatz an ihrem Projekt, um es auszubauen.
Weiterführende Links:
Homepage von ObstkäppchenObstkäppchen bei Facebook
Artikel vom 01.02.2018
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