Von Eva Tritschler
Psychologin Sandra Boronas und Sportwissenschaftler Tobias Vogt bereiten Probandin Nummer 14 mit der EEG-Kappe auf die Experimente vor. Foto: David Scherfgen
Ich sitze da und vermute, dass mein Aussehen gerade dem eines Rhesusäffchens im Versuchslabor ähnelt: mein Kopf total verkabelt, um mich herum Wissenschaftler, die sich mit Spritzen in der Hand daran zu schaffen machen und mich pieken.
Messung der Gehirnaktivität bei körperlicher Belastung
Die Wirklichkeit ist weitaus harmloser, wenn auch spannend. Ich habe mich sogar freiwillig in die Rolle eines Versuchskaninchens begeben, was das Rhesusäffchen nicht von sich behaupten könnte. Professor Rainer Herpers möchte gemeinsam mit Kollegen der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) herausfinden, wie sich die Gehirnaktivität bei körperlicher Belastung verändert, wenn zusätzlich kognitive Einflüsse – sprich: Rechenaufgaben – hinzukommen und der Proband Stress ausgesetzt wird. „Herzlichen Glückwunsch“, denke ich, sage „aha“ und bin gespannt, was kommt. Was ich schon vorher wusste, war, dass ich auf einem Fahrrad, das fest auf einem Gestell steht, durch eine simulierte Umgebung würde fahren müssen.
Sportwissenschaftler Tobias Vogt vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Sporthochschule erklärt es mir: „Mittels der EEG-Kappe und ihren 32 Elektroden werden die Gehirnaktivitäten bestimmter Hirnareale gemessen.“ EEG steht für Elektroenzephalogramm, Zahl und Plazierung der Elektroden entsprechen einer internationalen Norm. Zu Beginn es Experimentes wird ein Ruhe-EEG gemacht, ganz am Ende, bevor ich von der Kappe erlöst werden, noch mal eines.
An nichts denken, geht nicht
„Bitte entspannen“, sagt Vogt, und knipst das Licht aus. Es herrscht Stille, aber wider Erwarten schlafe ich nicht ein, denn in meinem Kopf rattern die Gedanken. Ob man das sieht, dass mir gerade der Anruf einfällt, den ich unbedingt noch vorher hätte erledigen müssen? Einkaufen muss ich nachher auch noch, ach ja, und der Nachbarin am Abend den Blumentopf bringen, der von ihrem Balkon auf meinen gefallen war. Aber Vogt hat nichts auszusetzen. Entspannung jetzt auch bei Sandra Boronas und David Scherfgen, wissenschaftliche Mitarbeiter von Rainer Herpers in dem Projekt: Sie können jetzt wieder die Computertastatur malträtieren und weiterarbeiten.
Immer noch nicht aufs Fahrrad. Zunächst muss ich einen psychologischen Fragebogen, der von den Forschern als„Moodmeter“ bezeichnet wird, beantworten. Dieses Stimmungsbarometer listet nacheinander 32 Befindlichkeiten auf – „für jede Elektrode eine“ grinse ich innerlich –, die ich spontan in Relation zu mir setzen soll. Ja, ich fühle mich gerade sehr schlapp und müde, aber trotzdem entspannt und fröhlich.
Alles gleichzeitig: treten, lenken, rechnen, reagieren
Endlich sitze ich auf dem Fahrrad in der „FIVIS“-Umgebung. Die Kabel aus der EEG-Kappe führen in den Computer, der alles aufzeichnet: wie ich zunächst auf einer dreispurigen Straße auf der mittleren Fahrbahn geradeaus fahre und dabei ganz einfache Rechenaufgaben, die vor mir auf der Straße eingeblendet werden, per Knopfdruck mit dem rechten oder linken Daumen am Lenker lösen muss: Ist die 18 rechts größer als die 17 links? Das ist einfach, auch gleich große Zahlen sind leicht durch gleichzeitiges Drücken richtig zu identifizieren. Das zweite Level stellt Addition, Subtraktion und Multiplikation mit Zahlen bis 30 einer Zahl auf der jeweils anderen Seite gegenüber. Das ist eigentlich ganz einfach, aber dabei gilt es das Fahrrad in der Spur zu halten. Und so passiert es schnell, dass der Daumen ganz schnell entscheidet, drei plus sieben sei größer als elf, obwohl im selben Augenblick mein Gehirn schreit: „Falsch!“ Im dritten Level wird es noch ein bisschen schwieriger, denn nun erscheinen auf beiden Seiten kleine Rechenaufgaben, deren Ergebnis schnell in größer, kleiner, gleich abzuwägen ist. Jetzt weiß ich, woher mein Impuls kommt, spontan und neugierig auf irgendwelche Knöpfe zu drücken, obwohl ich weiß, dass das nicht immer ratsam ist.
Die Zeit für das erste Experiment ist abgelaufen. „Ins vierte Level hat es noch keiner der Probanden geschafft“, tröstet mich David Scherfgen. Ich bin das 14. Versuchskaninchen, insgesamt 15 brauchen die Wissenschaftler, um die Ergebnisse auszuwerten. Damit auch das nächste Experiment perfekt die Gehirnaktivität aufzeichnet, spritzen Sandra Boronas und Tobias Vogt bei einigen Elektroden Gel nach. Das Gel fließt unter die Kappe zwischen Kopfhaut und Elektrode und sorgt für die „Leitfähigkeit ins Hirn“. Denn die Gehirnaktivitäten sind schwache elektrische Impulse und damit wie Strom messbar.
Bisher hatte man noch nicht untersucht, ob und wie körperliche Belastung bei kognitiven Prozessen die Gehirnaktivitäten verändert. „Wir hoffen, dass sich durch die Versuche die Prozesse im Gehirn lokalisieren lassen“, formuliert Vogt das Ziel. Leider kann ich während der Versuche den Kurvenverlauf des EEG nicht sehen. Macht aber nichts, denn die Unterschiede bei den verschiedenen Experimenten seien mit bloßem Auge nicht sichtbar, sagt Vogt.
Unfälle sorgen für hektische Beta-Wellen
Bevor das letzte Fahrradexperiment beginnt, kommt noch einmal das Moodmeter zum Einsatz. Im Stillen taufe ich es „Mutmeter“, denn inzwischen fühle ich mich überhaupt nicht mehr müde oder kraftlos, sondern eher aufgekratzt und voller Tatendrang. Auf dem Fahrrad geht es wieder dreispurig geradeaus. Wie lang, weiß ich nicht, aber am Ende sind es hundert Autos. Sie kommen mir entgegen, auf jeder Spur, manchmal zwei gleichzeitig, versetzt – und ich muss ausweichen. Ich probiere auch mal, mit dem Rad durch den schmalen Zwischenraum zu fahren, aber keine Chance. Der Computer kennt keine Gnade. Das bedeutet Stress, macht aber unglaublich viel Spaß. Die Unfälle sind System, und es passiert ja nichts.
Kleine hektische Beta-Wellen erscheinen bei den Fahrversuchen, „bei der Ruhemessen sehen wir sogenannte Alpha-Wellen, große schöne Kurven“, beschreibt Vogt den Unterschied. Besonderes Augenmerk schenken die Wissenschaftler dem frontalen und dem okzipitalen Cortex. Von diesen vorderen und hinteren Teilen der Hirnrinde erwarten sie maßgebliche Erkenntnisse. Es geht dabei auch um den Einfluss von sportlicher Aktivität auf die Konzentrationsfähigkeit – also einfach ausgedrückt: Kann ich mich besser konzentrieren, wenn ich mit dem Rad statt mit dem Bus zur Schule fahre. Thorsten, der nach mir aufs Fahrrad klettert, ist der letzte Proband. Jetzt beginnt für Vogt, Herpers, Boronas und Scherfgen die Auswertungsphase, die voraussichtlich bis Mai dauert. Die Ergebnisse sollen dann auf einem internationalen Kongress veröffentlicht werden. Es ist auch denkbar, dass das Projekt fortgeführt und die Kooperation mit der Sporthochschule ausgebaut wird.
Weiterführende Links:
Projektpartner:
Sporthochschule, Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft
Sporthochschule, Psychologisches Institut
Artikel vom 11.02.2011
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