Von Daniel Borges
Steht jetzt im Entwicklungszentrum eines Automobilherstellers: Ständerbohrmaschine mit eingebautem Mikrochip. Foto: Fachbereich Informatik
Etwa 960.000 Arbeitsunfälle wurden im Jahr 2007 den Berufsgenossenschaften gemeldet. Tendenz steigend. Häufiger Grund: Sicherheitsvorschriften werden nicht beachtet.
Schwere Unfälle möglich
So auch im baden-württembergischen Entwicklungszentrum eines Sportwagenherstellers. Dort ereigneten sich zwei schwere Unfälle an so genannten Ständerbohrmaschinen. Die fest installierten und senkrecht stehenden Bohrmaschinen dürfen aufgrund hoher Drehzahlen nicht mit Handschuhen benutzt werden, da diese sich in der schnell drehenden Spindel verfangen und so zu schwersten Knochenbrüchen und sogar zum Verlust von Gliedmaßen führen können. Doch diese Sicherheitsvorschrift wird oft von Facharbeitern vergessen, da im Zuge der Arbeiten die Handschuhe häufig aus- und angezogen werden müssen.
Neues Sicherheitssystem
Um diese Art von Arbeitsunfällen zu vermeiden, trat das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (BGIA) Anfang 2008 an die FH heran, um eine Lösung für das Problem zu finden. Informatik-Professor Norbert Jung und Oliver Schwaneberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter, entwickelten daraufhin ein Sicherheitssystem für Ständerbohrmaschinen, bei dem die Maschine erkennt, ob der Anwender Handschuhe trägt. Die Maschine lässt sich dann nur noch von unbehandschuhten Händen einschalten.
Das Prinzip
Im Einschalt-Taster befindet sich eine Leuchtdiode, die beim Einschalten der Bohrmaschine Nah-Infrarotstrahlung aussendet. Diese wird dann von dem Finger des Anwenders reflektiert. Eine Fotodiode im Inneren des Tasters misst die reflektierten Strahlen und vergleicht deren spektrale Signatur mit vordefinierten Mustern, die in dem eingebauten Mikrochip gespeichert sind. Sollte der Anwender einen Handschuh tragen, bleibt die Maschine aus; sollte er keinen tragen, startet sie ganz normal. Denn jedes Material reflektiert ein individuelles Muster. So auch Haut oder Stoff.
Sehr verschiedene Testpersonen
Bevor die Forscher wussten, welche spektrale Signatur sie für die Haut auf dem Mikrochip vordefinieren sollten, musste das System im Labor getestet werden. „Damit wir verwertbare Daten in das System einpflegen konnten, mussten vorher etwa 100 Personen den Schalter testen“, sagt Schwaneberg. Die Testpersonen waren überwiegend Studierende der FH, aber auch Bewohner eines Altenheims halfen mit. „Wir wollten nicht nur junge Leute testen, sondern auch ältere, um zu sehen, ob die spektrale Signatur ähnlich ist“, berichtet der 27-jährige Informatiker. Tatsächlich ist die spektrale Signatur nicht nur zwischen alt und jung sehr ähnlich: „Wir haben Studierende mit verschiedener Hautfarbe testen lassen, und man kann sagen, dass die reflektierte spektrale Signatur sich bei allen sehr ähnelt“, erzählt Schwaneberg.
System im Einsatz
Nach erfolgreicher Testphase im Labor steht nun eine umgebaute Ständerbohrmaschine in dem genannten Entwicklungszentrum in Süddeutschland, um das Sicherheitssystem in der Praxis auf Herz und Nieren zu prüfen. Obwohl das System im Moment sicher läuft, warnen die Forscher dennoch vor zu viel Euphorie. Durch einige Faktoren könnte das System ausgetrickst werden: „Diverse Öle oder Farben, die sich an den Händen der Arbeiter befinden, könnten die spektrale Signatur der Haut so verändern, dass das System sie nicht mehr erkennt und die Maschine sich nicht anstellen lässt“, sagt Schwaneberg.
Einhalten von Vorschriften dennoch wichtig
Vor grober Fahrlässigkeit schützt das System jedoch nicht : Würde der Anwender die Fingerkuppen des Handschuhs abschneiden und mit derart manipuliertem Handschuh den Taster betätigen, könnte das System dieses Fehlverhalten nicht erkennen und die Maschine ungehindert eingeschaltet werden. Mit allen möglichen Konsequenzen.
Artikel vom 22.01.2009
Nutzen Sie die Möglichkeit, die gedruckte Ausgabe des "doppelpunkt:" zweimal jährlich zu beziehen und bereits veröffentliche Ausgaben nachzubestellen. mehr...