Ein Gastbeitrag von Dr. Thomas Richter
Aufgaben der Dozenten: Studierende der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, 2010: Sie zeigt die Prozente positiver Einschätzungen von Studierenden der Hochschule zu den zum Themenfeld „Aufgaben der Dozenten“ angebotenen Items. Es fällt auf, dass die Erwartungen von Studierenden in kleineren Fachbereichen ausgeprägter sind, als in größeren. Das Muster insgesamt ist zwischen allen Fachbereichen allerdings recht ähnlich. Quelle: Thomas Richter
Die in den vergangenen Jahren gezielt geförderte Mobilität in Europa hat zu Arbeits- und Bildungsszenarien geführt, die besonders durch ihre nationale Heterogenität geprägt sind. Durch die verstärkte Internationalisierung von Bildungsszenarien und Arbeitsplätzen werden zwar Kulturverständnis und interkulturelle Kompetenzen von Arbeitnehmern und Lernenden gefördert, es gibt aber insbesondere im Kontext der Bildung auch unerwünschte Nebeneffekte.
Mit dem Wechsel von einem Land in ein anderes, bringen Lernende ihre zuvor gemachten Erfahrungen und ihre Kultur mit, die sich in Erwartungen an die neue Umgebung widerspiegeln. Die Nichterfüllung grundlegender Bedürfnisse kann auf individueller Ebene motivationsmindernde Konflikte und Frustration zufolge haben. Gerade in Bildungsprozessen sollten diese, wenn möglich, durch geeignete Vorbereitungsmaßnahmen vermieden oder zumindest nachträglich kompetent aufgearbeitet werden: Motivation gilt für das Lernen als einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren überhaupt.
In zeitgemäßen Bildungsmaßnahmen stehen die Lernenden im Mittelpunkt. In diesem Sinne haben Bildungseinrichtungen die Verantwortung dafür, ein Umfeld bereitzustellen, in dem Lernende möglichst ohne unnötige Konflikte studieren können; unabhängig von Herkunft, Lernstilen und Lernzielen.
Abb. Aufgaben der Dozenten: Vergleich koreanischer Universitäten, 2011
Im südkoreanischen Umfeld, also mit einer gesetzlichen Quote von einer Vollprofessur auf je zehn Studierende sind solche Ansprüche durchaus im Rahmen des Erfüllbaren. In deutschen Hochschulen ist eine vergleichbar individuelle Unterstützung in der Regel jedoch aufgrund der deutlich höheren Studierendenzahlen je Kurs schwierig. Was aber möglich ist, ist im Vorab zu erkennen, dass hier offensichtlich Diskrepanzen zwischen Erwartungen und Realität bestehen, wenn koreanische Studierende z. B. ein Gastsemester an der FH BRS planen. Auf solche Unterschiede können die Studierenden aufgrund der Daten des Learning Culture Surveys bereits vor Antritt ihres Auslandsaufenthalts vorbereitet werden. Quelle: Thomas Richter
Untersuchungen zur Vorhersage kulturellen Konfliktpotenzials
Der „Learning Culture Survey“ ist ein seit 2008 laufendes Forschungsvorhaben mit dem Primärziel, kulturbezogene Konfliktsituationen in internationalen Lernszenarien besser zu verstehen. Anhand eines standardisierten Fragebogens werden ausgewählte, kulturbezogene Verhaltensweisen und Erwartungen von Studierenden im Hochschulumfeld in verschiedenen Ländern untersucht; wir sprechen in diesem Zusammenhang von Lernkultur. Die Untersuchungsergebnisse können vielfach genutzt werden: einerseits zur Vorhersage kulturellen Konfliktpotenzials in der Bildung und zur Gestaltung angemessener Präventivmaßnahmen beziehungsweise Interventionen, andererseits aber auch zur Förderung von Kulturkompetenz oder zur selbstinitiativen Vorbereitung auf Auslandsaufenthalte durch Studierende und Lehrende.
Im Rahmen der bislang erzielten Ergebnisse konnten neben Detailkenntnissen zu den untersuchten Lernkontexten auch sehr grundlegende Erkenntnisse erzielt werden: So wissen wir heute, dass das bislang häufig zugrunde gelegte Konzept einer kontextübergreifenden Nationalkultur zumindest im Bildungssektor nicht greift. Für kulturell weitestgehend homogene Länder mit nur einer Nationalsprache können wir zwar so etwas wie eine gemeinsame Lernkultur in Hochschulen annehmen, diese unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Lernkultur im Umfeld beruflicher Bildung. Entsprechend grundlegende Unterschiede wurden sogar zwischen Unternehmen gefunden.
Bereits 2010 wurde der Learning Culture Survey mit großem Erfolg an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg durchgeführt. Dadurch konnten wichtige Erkenntnisse zu den (tatsächlich marginalen) Unterschieden zwischen Lernkultur an deutschen Fachhochschulen und Universitäten erzielt werden. Durch die hervorragende Unterstützung der Studierenden konnte darüber hinaus auch eine Unterscheidung der Lernkulturen der einzelnen Fachbereiche untereinander getroffen werden.
Die im Wintersemester angelaufene Wiederholungsstudie soll Erkenntnisse zur Persistenz lernkulturrelevanter Daten bringen, andererseits aber auch erkennen lassen, ob sich im Vergleich Veränderungen innerhalb der Fachbereiche in den Ergebnissen widerspiegeln. Sollte das der Fall sein, so könnte der Fragebogen künftig auch als Werkzeug für hochschulinternes Qualitätsmanagement eingesetzt werden.
Learning Culture Survey
Der Learning Culture Survey ist eine multinationale Befragung von Studierenden verschiedener Hochschulen, die derzeit in Frankreich und wiederholt in Deutschland durchgeführt wird. Sie dient dem Verständnis von Lernkultur und soll dazu beitragen, dass internationale Bildungsszenarien, wie man sie bei Studierendenaustausch oder internationalen Bildungsprogrammen findet, stärker auf die Bedürfnisse der Lernenden ausgerichtet werden können. Insbesondere geht es darum, kulturell bedingte Konfliktsituationen mit negativem Einfluss auf den Lernprozess, zu erkennen und Problemen durch gezielte Vorbereitung vorzubeugen.
Zum Autor
Dr. Thomas Richter studierte an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Informatik und Technikjournalismus. Auf das Informatikdiplom setzte er einen Master in Wirtschaftsinformatik und promovierte an der Universität Duisburg-Essen in Wirtschaftswissenschaften.
Seit seinem Forschungsjahr in Südkorea (2007), wo er sich mit E-Learning und möglichen Vorbereitungsmaßnahmen für den Austausch von Forschungs- und Lehrpersonal sowie Studierenden beschäftigte, untersucht er an der Universität Duisburg-Essen auf internationaler Ebene kulturspezifische Erwartungen und Auffassungen von Lernenden bezüglich Bildung, insbesondere Hochschulbildung. Darüber hinaus forscht er im Umfeld freier Bildungsressourcen (OERs).
Derzeit arbeitet Richter am EU-finanzierten Projekt Open Discovery Space (ODS) mit. Hier geht es um ein europaweites multilinguales Zugangsportal zu freien Bildungsressourcen. Darüber hinaus wurde eine Plattform für Erfahrungsaustausch und kollaborative Lösung von Problemen eingerichtet.
Artikel vom 03.02.2015
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