von Dennis Kistner
Am Mikrodissektionsmikroskop: Professor Richard Jäger (im Hintergund) mit den beiden Doktoranden Sarah Heß und Glenn Theunissen. Foto: Hans Weiher
Auf dem zerkratzten Tisch, auf dem tutenden Telefonhörer oder auf zerrissener Kleidung, überall dort suchen forensische Analytiker nach möglichen Rückständen von DNS. Da ein Tatort allerdings von unzähligen verschiedenen Spuren übersät sein dürfte, bedarf es eines Verfahrens, das untersuchtes Erbmaterial einzelnen Personen zuordnen kann.
Biologieprofessor Richard Jäger setzt am Campus Rheinbach auf die Analytik singulärer Genome mittels Whole-Genome-Amplification (WGA), um dieses Problem zu lösen. „Im Grunde geht es um eine unspezifische, möglichst gleichmäßige Vervielfältigung der gesamten DNS“, erklärt Jäger. Die herkömmliche Methode namens Polymerase-Kettenreaktion (PCR) verwende hingegen nur spezifische Abschnitte an bestimmten Orten des Erbgutes und stoße somit schnell an ihre Grenzen. Habe man beispielsweise nur sehr wenig DNS zur Verfügung, was leider die Regel sei, komme man mit herkömmlicher Methodik nicht weiter.
Fokus auf Aufklärung von Vergewaltigungsfällen
Das Projekt konzentriert sich auf Vergewaltigungsfälle. Nach einer solchen Tat finden die Analytiker meist Spermien des Täters im Vaginalabstrich und isolieren daraus die DNS. „Problematisch wird es, wenn die Probe mit DNS-Spuren des Opfers oder anderer Personen überlagert ist“, erklärt der Professor. Nun kommt das Mikrodissektionsmikroskop zum Einsatz, mit dessen Hilfe dank Färbemethoden das Spermium dargestellt und einzeln isoliert werden kann. „Bei Mehrfachvergewaltigungen ist es derzeit oft nicht möglich, die individuellen Täter anhand der gemischten DNS-Spur zu identfizieren“, sagt er weiter. Nun erfährt das isolierte Spermium eine laboratorische Waschstraße und wird mittels Whole-Genome-Amplification (WGA) aufgeschlüsselt. „Wichtig ist, nach der WGA auch die konventionelle Analyse durchzuführen“, fügt Jäger hinzu. Das bedeutet, man wendet nun mit eindeutigerem Ausgangsmaterial die herkömmliche Methode an und füttert anschließend die Datenbank des Bundeskriminalamts.
Ein weiteres Anwendungsgebiet der Whole-Genome-Amplification bietet die Genotypisierung telogener Haare. Dieser Spurentyp enthält sehr wenig Erbinformation und lässt deshalb kaum auf den Besitzer schließen. „Das Labor für Abstammungsbegutachtung in Rheinbach ist Projektpartner und bietet für diesen Forschungsaspekt die perfekte Umgebung“, sagt Jäger. Die Analyse des menschlichen Erbgutes ist vor Gericht als einziger Beweis nicht ausreichend, um einen Täter zu überführen. Außerdem ist es hierzulande verboten, DNS-Abschnitte zu betrachten, die phänotypische Eigenschaften wie Alter, Körpergröße oder ethnische Herkunft charakterisieren.
Solche phänotypisch informative DNS-Abschnitte ermöglichen schon in naher Zukunft die Erstellung „genetischer“ Phantombilder. Professor Jäger wies auch auf die Gefahr hin, dass DNS-Profile gefälscht werden können, etwa durch gezieltes Hinterlassen ganz bestimmter DNS-Spuren an einem Tatort. Die Einordnung der Ergebnisse durch einen Experten werde deshalb trotz ausgefeilter Technik immer erforderlich sein.
Artikel vom 18.06.2015
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