Verbraucherinformatik stellt den Menschen in den Mittelpunkt
von Clemens Wagner
Digitaler Verbraucherschutz, Wirtschaftlichkeit, Sorgen und Hoffnungen von Kunden – bei Entwicklung und Einführung vernetzter Alltagsgegenstände ist vieles zu beachten. Gunnar Stevens, Professor für Wirtschaftsinformatik, erforscht das Verhältnis technischer Neuerungen und sozialer Phänomene.

Gunnar Stevens ist Professor für Wirtschaftsinformatik. In seiner Forschung geht es um technische Neuheiten wie smarte Kühlschränke und vernetzte Autos. Foto: Clemens Wagner
Innerhalb von Jahrzehnten hat sich die Nutzung des PC, innerhalb weniger Jahre die des Smartphones durchgesetzt. Steigen Neuerungen wie autonome oder vernetzte Fahrzeuge ebenso schnell zu Alltagsgegenständen auf wie etwa die junge Generation von Mobiltelefonen, wird dies erwünschte, unerwünschte und möglicherweise unvorhergesehene Folgen nach sich ziehen. Typische Fragen sind: Wie verändern sogenannte Smarthomes, die automatisiert den Kühlschrankinhalt verwalten und Zutaten bestellen können, das Kaufverhalten ihrer Nutzer? Könnten Rückrufaktionen der Lebensmittelindustrie dadurch effektiver werden? Wie können vernetzte Autos wertvolle Daten zum Straßenbau sammeln, ohne dabei bedenklich genaue und persönliche Daten zu erheben? Kann durch dynamische Mindesthaltbarkeitsdaten die Verschwendung von Lebensmitteln reduziert werden? Durch Stevens Studien entstehen Konzepte, die den Bedürfnissen aller entgegenkommen sollen.
Carsharing als Modell für Mensch-Maschinen-Interaktion
Der Informatiker Gunnar Stevens studierte in Bonn und Frankfurt, seit 2015 ist er Professor im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Das Thema der Interaktion von Menschen mit Technik zieht sich durch die meisten seiner Projekte. Seine Fachrichtung bezeichnet er als Verbraucherinformatik, seinen Forschungsansatz als Living-Lab-Methode. Ein Beispiel: Doktorandin Christina Pakusch befasst sich vor allem mit der Umsetzung des Carsharing, also der gemeinschaftlichen Nutzung von Fahrzeugen. Die derzeit geringe Verbreitung des Carsharing (laut Stevens werden in Deutschland nur etwa 40.000 Fahrzeuge geteilt genutzt) hat einen möglichen Grund in der Organisierung der Schlüsselübergabe. Eine Fahrzeugverriegelung, die per Smartphone geöffnet werden kann, soll den mit der Schlüsselübergabe verbundenen Aufwand auf technischem Wege beseitigen. Autos können hierfür schon jetzt nachgerüstet, mit etwas Standardisierung leicht in Serie produziert werden. Stevens befragt Versuchsteilnehmer, die Carsharing nutzen, zu ihren Erfahrungen unter anderem mit den genannten Systemen.
Doch Carsharing ist komplizierter: Zur lästigen Suche nach einem Parkplatz am Zielort gesellt sich das Problem, dass auch der nächste Nutzer den Wagen finden muss. Ein ehrgeiziger Lösungsansatz hierfür wäre ein autonomes Fahrzeug, das selbstständig auf Parkplatzsuche geht und Passagiere vor der Haustür abholt.
„Die durch autonomes Fahren gewonnene Flexibilität macht Carsharing auch für Stadtwerke sehr interessant“, sagt Pakusch. Doch wie steht es um die Akzeptanz für ein solches Angebot? „Die Sicherheit ist in Befragungen der derzeit am häufigsten angegebene Grund für Vorbehalte gegenüber autonomen Fahrzeugen“, weiß Christina Pakusch. Interessanterweise scheint dies nur eingeschränkt für den Einsatz von Selbstfahrtechnologie etwa in Linienbussen zu gelten, also einer Umgebung, in der Fahrgäste es bereits gewohnt sind, Kontrolle und Verantwortung abzugeben, so Stevens. Er erklärt weiter: „Wenn Passagieren autonomer Autos etwa Schuld an einem Unfall zugesprochen werden kann, weil sie die Hände gerade nicht am Lenkrad hatten, um notfalls eingreifen zu können, wird die Kontrolle den Nutzern zwar genommen, die Verantwortung aber nicht. Das erzeugt großen psychischen Druck.“ Das zeige, dass Haftungsfragen eindeutig geklärt werden müssten, damit sich eine derartige Technologie wirklich durchsetzen kann.
Im schweizerischen Sitten fahren bereits seit 2016 autonome Busse. Foto: Christina PakuschMöglichkeiten versus Nutzen und Gefahren
Aber kann sie das überhaupt? Die Forscher beschäftigen sich deshalb auch damit, ob die in die untersuchten Konzepte gesteckten Hoffnungen realistisch sind. Pakusch weist darauf hin, dass günstige, autonome, geteilte Autos laut Nutzerbefragungen eher in Konkurrenz zu öffentlichen Verkehrsmitteln stehen als zum Privatauto. „Keine oder schlechte politische Regulierung und ergänzende Förderung des öffentlichen Personenverkehrs könnten dazu führen, dass entsprechende Angebote die Zahl an Fahrzeugen im Individualverkehr erhöhen, statt sie zu senken“, warnt Stevens daher. Es genügt vielleicht nicht, Carsharing generell attraktiver zu machen – das muss es wohl insbesondere für die jetzigen Autofahrer werden, um ökologisch sinnvoll zu sein.
Noch viele offene Fragen in der Verbraucherinformatik
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hält das Projekt „Einfach teilen“ für vielversprechend und fördert es mit 100.000 Euro. 2019 beginnt für das Projekt eine neue Phase. Die Ergebnisse ihrer Forschung stellen Pakusch und Stevens auf internationalen Konferenzen vor.
Mit dem Projekt „Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Usability“, einer Förderinitiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter Beteiligung wissenschaftlicher Einrichtungen, kommt ihre Expertise bei der Durchführung von Nutzerstudien Unternehmen unmittelbar zugute.
Das nächste Forschungsvorhaben ist bereits in Planung: Stevens möchte mit mehreren Kooperationspartnern die Qualitätssicherung in der Lebensmittelindustrie untersuchen. Dort könnten bald dynamische Mindesthaltbarkeitsdaten, die sich aus den Umständen der laufenden Produktion ergeben, zum Einsatz kommen. Ob es dafür eine rechtliche Grundlage gebe? „Nein“, sagt Stevens, „unsere Gesetzgebung ist eben noch nicht digital.“
Weiterführender Link:
Einfach teilen – Projektseite
Artikel vom 03.07.2018
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