Von Rosemarie Stibbe
Rosemarie Stibbe: Die Professorin im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Sankt Augustin befand sich bis vor kurzem im Forschungssemester. Foto: Rita Loschitz
Ein Blick in die Praxis zeigt, dass einerseits das Thema Nachhaltigkeit als eher theoretisches Konstrukt belächelt wird. Andererseits verweisen viele Politiker und zahlreiche Industriezweige sowie in zunehmendem Maße auch Hochschulen und Krankenhäuser (Stichwort: Green Hospital) auf ihre Strategien zur Nachhaltigkeit.
Eine im Frühjahr 2011 im Rahmen meines Forschungsprojektes durchgeführte stichprobenhafte Umfrage bei 60 Krankenhäusern (von 418) in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass die Leiter der Controllingabteilungen eine Vorstellung von dem Begriff Nachhaltigkeit haben. Mit nur einer Ausnahme waren sämtliche Definitionen – unter Verweis auf den Leistungswettbewerb – direkt auf die langfristige, dauerhafte und flexible Entwicklung des jeweiligen Krankenhauses gerichtet. Über die Grenzen ihres Hauses hinausgehende, gesellschaftliche Zielsetzungen wurden spontan mit Nachhaltigkeit nicht oder nur rudimentär in Verbindung gebracht. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die den Orientierungsrahmen für die Gestaltung einer ernst gemeinten Nachhaltigkeitsstrategie bilden sollte, kannte keiner der Befragten.
Warum Nachhaltigkeit jeden betrifft
Ein Beispiel soll verdeutlichen, dass Nachhaltigkeit heute ausnahmslos alle Menschen tangiert, auch diejenigen, die ihre Augen vor dieser Thematik verschließen: Fakt ist, dass eine Zunahme weiterer Klimakatastrophen nicht mehr zu vermeiden ist. Die Bundesregierung hat sich im Rahmen einer Anpassungsstrategie mit konkreten Handlungsfeldern bereits auf solche Klimakatastrophen eingestellt, die auf Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit zukommen dürften. Das reicht von erosionsbedingten Sandstürmen über Sturmfluten und Überschwemmungen bis zu Ernteausfällen, Küstenbruch oder Waldbränden.
Und das Thema betrifft nicht nur Deutschland. So gibt es aufgrund des Klimawandels heute schon mehr Umwelt- als Kriegsflüchtlinge. Im Jahr 2000 starben etwa 150.000 Menschen an den Folgen der Klimaerwärmung. Selbst wenn von heute auf morgen der Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) gestoppt werden könnte, wäre eine weitere Klimaerwärmung nicht mehr zu vermeiden. Klimaveränderungen haben einen Vorlauf von etwa vier bis fünf Jahrzehnten, was bedeutet, dass die starken Emmissionsentwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht in den heutigen klimatischen Veränderungen enthalten sind. Sie wirken zeitverzögert und unaufhaltsam. Da CO2 eine Abbauzeit von mehr als 200 Jahren hat, ist ein weiterer Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert nicht mehr zu verhindern: Die Menschheit muss sich auf weitere globale Katastrophen einstellen.
Nachhaltigkeit im Krankenhaussektor
Doch was bedeutet Nachhaltigkeit für den Krankenhaussektor. Aufgrund der inzwischen existenziellen Relevanz liegt die Federführung für Nachhaltigkeit direkt beim Bundeskanzleramt. Die Bundesregierung will zukünftig besser sicherstellen, dass Nachhaltigkeit in der Verwaltungspraxis sowie bei der Erarbeitung von Gesetzen und Verordnungen stärker als bisher beachtet wird. Bereits heute werden alle Gesetze vor ihrer Verabschiedung im Rahmen einer Gesetzesfolgenabschätzung auf ihre Nachhaltigkeitskonformität überprüft.
Unternehmen und insbesondere die in rechtlich-politische Rahmenbedingungen eingebetteten Krankenhäuser werden sich den Zielen der Bundesregierung nicht entziehen können. Krankenhäuser tangieren in diesem Zusammenhang direkt oder indirekt sämtliche Schwerpunktthemen der Regierung wie Klima und Energie, Rohstoffwirtschaft, demografischer Wandel oder Welternährung und verfügen über das Potenzial, die im aktuellen Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie formulierten Zielsetzungen voranzutreiben.
Im Rahmen meines derzeitigen Forschungsprojektes „Nachhaltiges Krankenhaus-Controlling“ werden im Rahmen einer Makro- und Mikroanalyse die Problembereiche, Gestaltungsrestriktionen, Fehlentwicklungen und natürlich auch Verbesserungspotenziale für ein zukünftig an Relevanz gewinnendes Krankenhaus-Controlling aufgezeigt.
Artikel vom 19.01.2012
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