von Julia Froolyks
Ulrich Schnabel, Wissenschaftsjournalist und Buchautor, hat am Ende der Lesung mit Gastgeberin Susanne Kundmüller-Bianchini von der Hochschulbibliothek gut gelaunt noch Platz auf dem Sofa genommen. Foto: Eva Tritschler
Schnabel ist deutscher Wissenschaftsjournalist bei der Wochenzeitung „Die Zeit“, Buchautor und Physiker. Sein Buch „Die Vermessung des Glaubens. Forscher ergründen, wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt“ reihte sich in die Bestseller-Liste ein. Nach seinen beiden ersten Büchern, die sich ebenfalls mit Themen am Rande von Wissenschaft und Philosophie beschäftigen, möchte Schnabel mit seinem neuen Titel zum bewussten Umgang mit Emotionen anregen.
Eine Antwort auf die Frage im Buchtitel hat Schnabel gleich zu Anfang seiner Lesung: „Ein Lächeln ist unbezahlbar, Sie bekommen meines heute kostenlos“, sagt er. Nach einem kritischen Räuspern aus dem Publikum fügt er hinzu: „Na gut – ab jetzt zumindest. Die Eintrittskarte haben Sie ja schon bezahlt!“ Es sollte nicht die einzige Situation bleiben, in der die Hörer im Audimax mit dem selbstbewussten ZEIT-Journalisten lachen.
Zwischen Gut und Böse
Schnabel führt mit Lesungen aus seinem Buch und dem Erzählen persönlicher Erfahrungen durch den Abend. So beschreibt er zu Beginn, was Emotionen eigentlich sind und warum wir sie brauchen. Ohne Gefühle ginge gar nichts, sagt Schnabel. „Ohne Emotionen wären wir nicht in der Lage zwischen Gut und Böse, richtig und falsch zu unterscheiden.“ Als Beispiel führt er den Fall eines Mannes an, der durch zerstörte Areale im Gehirn seine Emotionen verlor und selbst die drohende Scheidung von seiner Frau zwar als „negativ“ erkennen konnte, aber keine Emotionen oder Gefühle verspürte, die ihm die Wichtigkeit seiner Ehe vor Augen gehalten hätten.
Die Macht der Gefühle
Einen wichtigen Aspekt sieht Schnabel besonders in der Macht der Emotionen im modernen Management. So macht er auf neue Soft Skills aufmerksam, die Führungspersönlichkeiten in Unternehmen nutzen, um ihre Mitarbeiter emotional zu führen. Es sei schon vorgekommen, dass Angestellte nach Entlassungsgesprächen glücklich und zufrieden in „neue Möglichkeiten“ aufgebrochen sind. Das klingt erst einmal positiv, die Gefahr sieht Schnabel aber in der Manipulation der eigenen Gefühle. „Besonders gefährlich wird es, wenn die Firma zur Familie wird. Alle sind glücklich miteinander, keiner wird mehr kritisiert, das kann unabsehbare Folgen haben“, so Schnabel. Er glaube, dass sich der VW-Skandal 2015 aus einem solchen Betriebsklima ergeben haben könnte. „Da hat niemand gesagt „Ich glaube, wir sind auf dem falschen Weg“, das kann dazu geführt haben, dass es am Ende zu diesen drastischen Fehlern gekommen ist.“
Das Wissen über Emotionen nutzen
Schnabels Buch soll kein Ratgeber sein. Vielmehr erklärt er auf sachlicher und wissenschaftlicher Ebene die Funktion von Emotionen und wie man sich vor emotionaler Erpressung und Manipulation schützen kann – sei es bei Produktwerbung, in der Liebe oder im Job. Trotz seines Wissens über die Macht der Emotionen, sei er selbst aber kein Profi, der seine Erkenntnisse problemlos umsetzen kann. „Ich habe das Buch nicht geschrieben, weil ich perfekt bin. Vielmehr spiegeln sich meine eigenen Erfahrungen mit der Problematik darin wider“, sagt der 54-Jährige lächelnd.
Als der letzte Absatz über Heidi Klum und Seal und ihr privater, aber zugleich öffentliches Emotions-Leben gelesen ist, lädt Susanne Kundmüller, Bibliotheksleiterin und Moderatorin der Lesung, zu einem Glas Wein in kleinerem Kreis ein, um weitere Einblicke und persönliche Gespräche mit Ulrich Schnabel zu führen. Eines hat Schnabel an diesem Abend allen Zuhörern bewiesen: Emotionen sind ansteckend und man kann sich davor nicht schützen. Lächelnde Zuschauer verlassen das Audimax – emotionale Ansteckung kann so positiv sein.
Artikel vom 04.03.2016
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