von Klaus Höfken
Das Radioteleskop in Effelsberg ist das zweitgrößte seiner Art weltweit und lauscht nahezu ununterbrochen in den Weltraum. Foto: Eva Tritschler
Ich sehe weiter - als andere. Ziemlich weit sogar. Weit über den Sternenhimmel, den andere sehen, hinaus. Aber ich sehe auch ein wenig anders, als andere. Vielleicht bin ich auch anders, als andere. Ganz bestimmt bin ich das sogar.
Mein Auge - ja Singular, mein Auge - dass sieht nicht optisch, wie normale Augen. Meines sieht Radiowellen. Ich könnte auch die Musik und die Nachrichten von Radiosendern wahrnehmen, aber da hat mein Auge einen blinden Bereich. Was auch seine Vorteile hat. Denn sonst würde ich die ganzen spannenden Sachen, die da draußen sind gar nicht erblicken. Dann sähe ich nur Songs, manchmal sicherlich auch einen Guten, aber wohl nicht allzu oft und dafür eben keine Sterne. Ich würde ja gerne Mal „Across the Universe“ von den Beatles sehen.
Das Radioteleskop wird erwachsen
Eltern, wie andere sie haben, kann ich so auch nicht vorweisen. Aber es gibt zwei Organisationen, die in gewisser Weise diese Rolle einnehmen. Das MAN Werk Gustavsburg und die Friedrich Krupp AG, die könnte man fast meine Eltern nennen. Denn sie haben mich geplant, was ganz schön unromantisch klingt, aber sowas wie ich, das ist selten ein Zufall. Allerdings sollte ich ursprünglich viel kleiner werden, als ich jetzt bin. Das ich dann doch so groß wurde. Das kam wirklich unerwartet.
Gebaut wurde ich von 1967 bis 1971. Das war eine aufregende Zeit für mich. Ich war ganz gespannt, was ich wohl alles sehen werden würde. Ich malte mir aus, wie es aussieht, dort im Zentrum unserer Galaxie. Der Milchstraße. Klingt auch schön – Milchstraße. So hell und weiß, inmitten von schwarzen Nichts. Und ich sollte der erste sein, der für das Max-Planck-Institut für Radioastronomie an der Universität Bonn so weit hineinsehen konnte. Ich - das größte vollbewegliche Radioteleskop der Welt. Ja, das war ich. Das Größte. 29 Jahre lang. Eine ganz schön lange Zeit, oder?
Kurz nach meiner Geburt, 1976, da wurde ein Bild von mir sogar auf einer Briefmarke gedruckt. Das war was. Ich war ganz schön stolz. Auf einer Briefmarke, ich. Das muss man sich vorstellen. Das war schon aufregend, für ein so junges Teleskop wie mich. Früher, als ich so jung war, da grinste und lachte ich tagelang, wegen sowas. Wie schön es war, sich so sehr über etwas freuen zu können, wie in den Kindheitstagen.
Wasser in Weltrekordentfernung
Vor ein paar Jahren erst, 2008, da habe ich was Außergewöhnliches geschafft. Ich habe was gesehen, das weit weit weg war. Wasser. 11,3 Milliarden Lichtjahre weit weg. Ein Lichtjahr ist übrigens ganz schön viel. Bis zu unserer Sonne, da sind es nur acht Lichtminuten. Bis zum nächsten Stern sind es zwölf Lichtjahre. Und ich habe es in 11,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung entdeckt. Ein wahres Wundermittel, ohne das es mich hier nicht gäbe und wenn es mich doch geben könnte, dann wäre es ziemlich langweilig hier, weil dann niemals Menschen zu Besuch kämen. Ich entdeckte also Wasser in dieser kaum vorstellbaren Entfernung. War damals Weltrekord. Da freute ich mich auch, aber nur zwei Tage, danach suchte ich unablässig weiter.
Ich sehe weiter in die Vergangenheit - als andere. Denn das Wasser, das ich weit da draußen sah, dass war vor 11,3 Milliarden Jahren dort draußen, jetzt ist es vielleicht ganz wo anders, es hatte ja viel Zeit woanders hin zu schweben. Muss man sich mal vorstellen, dagegen bin ich ja ein wahrlich junger Hüpfer. Gerade erst geschlüpft könnte man sagen. Selbst unser Sonnensystem ist erst 4,6 Millarden Jahre alt.
Der Blick ins Weltall zeigt die Vergangenheit
In die Vergangenheit schaue ich ständig. Auch jetzt: Ich sehe nach damals. Als ich noch das Größte war. Die Leute hier vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie, sind immer noch stolz auf mich und darauf, dass sie mit mir arbeiten können. Zumindest glaube ich das. Sie schauen manchmal mit ganz großen Augen weit hinauf zu mir und lächeln. Die Besucher die hierher kommen, die machen das sogar fast alle. Klar bin ich auch stolz auf mich und auf das was ich alles so erreicht habe. Aber vielleicht war früher ja wirklich alles besser. Es war ja auch leichter für uns Radioteleskope, weil weniger Strahlung da war. Heute – heute ist das wirklich schwieriger, als es damals war. Warum? Zum Beispiel, weil ein Smartphone die drittstärkste Sendequelle wäre, läge es angeschaltet auf dem Mond, nur wegen der Strahlung, die das aussenden würde.
Apropros Mond. Das Hubble-Weltraumteleskop, das ist dieses optische Teleskop, das auf einer Erdumlaufbahn umher saust, das ist näher dran am Mond als ich (immerhin 590km) und es kann auf dem Mond Objekte erkennen, die mindestens zehn Meter groß sind. Das ist schon ziemlich gut, wenn man bedenkt, dass der Mond fast 400000 Kilometer von der Erde entfernt ist. Aber Raumsonden wie die Voyager, die können nur ein paar Freunde von mir (andere Radioteleskope hier auf der Welt) und ich gemeinsam wahrnehmen. Das schafft nichtmal das Hubble.
Mein Auge, also diese Schüssel, das hat einen Durchmesser von 100 Metern. Da sieht man mal wie groß ich bin. Die Brennweite liegt bei 30 Metern. Das ist viel mehr als die ganzen Kameras schaffen, die ständig Fotos von mir machen. Die haben meistens 45 bis 50 Millimeter. Menschen fotografieren ja gerne etwas, dass ihnen ins Auge fällt. Ständ' ich inmitten von anderen großen Teleskopen, fiele ich wohl gar nicht so auf. Aber hier, wo ich stehe, falle ich noch mehr auf. Um mich herum ist alles grün. Baum reiht sich an Baum; Hügel umzingeln mich. Eine weiße Schüssel mitten in idyllischer Landschaft.
Mitten in dieser Landschaft, den Hügeln, den Bäumen und dem kleinem Cafè, nur ein Stückchen weg von mir, da gibt es Wanderwege. Ja, nichts Spektakuläres. Aber ein wenig anders, als andere Wanderwege sind dann einige schon. Es gibt da Wege die die kosmischen Dimensionen auf die Erde holen, die sie anschaulicher machen. Es gibt welche, die zeigen wie groß unser Sonnensystem ist und welche, die zeigen wie weit ich schauen kann. Das ganze Grün hier mag ich. Und die Wanderwege auch. Die würde ich selbst gern entlang wandern, so wie sie sich zwischen den Bäumen, Büschen und und Hügeln hindurch schlängeln.
Tallage für störungsfreien Empfang
Damals hat man mich in das Tal gebaut, weil ich sonst der Strahlung von Bodenradars für Flugzeuge schutzlos ausgesetzt worden wäre. Dann hätte ich nicht richtig in die Ferne schauen können. Heute bin ich froh, dass ich hier stehe, denn schließlich könnte ich fast gar nichts mehr sehen, mit all den Smartphones.
Heute schaue ich meistens in unserer Galaxie umher, die Magnetfelder dort, die sind ziemlich interessant. Zumindest für mich, die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts und die vielen Gastwissenschaftler hier. Gerne würde ich in das schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie hinein sehen. Nur leider kann weder ich, noch sonst jemand sehen, was sich hinter dem Ereignishorizont des schwarzen Lochs abspielt. Der Ereignishorizont ist kurz gesagt der Punkt, an dem die Fluchtgeschwindigkeit höher ist als die Lichtgeschwindigkeit. Also da, wo das Licht nicht mehr dem schwarzen Loch entkommen kann und auch die Radiowellen nicht, nichts kann dem schwarzen Loch da entkommen. Deswegen kann das niemand sehen, weil nichts was dort hinein gelangt, wieder raus kommt. Was dahinter steckt, werde auch ich niemals erfahren. Aber auch ein Radioteleskop darf ja unrealistische Träume haben.
Weiterführende Links:
Webseite des MPI für Radioastronomie/Radioteleskop Effelsberg
Kinderuni Rhein-Sieg beim Radioteleskop
Artikel vom 15.09.2017
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